Etwa 5,9 Millionen Menschen leben im Libanon. 1,5 Millionen von ihnen sind syrische Flüchtlinge, 300.000 weitere stammen aus Palästina. Die Armutsquote ist in den vergangenen zwei Jahren von 26 auf 52 Prozent gestiegen, 70 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Sie haben weniger als vier Dollar pro Tag zur Verfügung. 980 Millionen Dollar hat der Libanon bisher an Unterstützung von der Internationalen Gemeinschaft erhalten, nötig wären laut Vereinten Nationen aber 2,48 Milliarden Dollar. Der durch Bürgerkriege ohnehin schon gebeutelte Staat droht endgültig ins Chaos abzudriften.
Als ich das Angebot der Friedrich-Ebert-Stiftung erhielt, als Sprecher für Migration und Teilhabe im Niedersächsischen Landtag für eine Woche in den Libanon zu reisen, wusste ich, dass ich in ein fragiles Land fahren würde. Wie schlimm es jedoch wirklich ist, sah ich erst vor Ort. So wie in der Bekaa-Ebene. Eigentlich nur etwa eine Stunde Fahrzeit von der Hauptstadt Beirut entfernt, ist es gar nicht so einfach, in das Tal zu gelangen. Mit Panzersperren hochgerüstete Checkpoints säumen die Straßen. Teilweise besetzt vom Militär, aber auch von der im Westen als Terrororganisation eingestuften Hisbollah. Uns lassen sie passieren, Einheimischen ergeht es anders: Die Straße führt ins syrische Damaskus, Spannung liegt in der Luft. Die Hisbollah engagiert sich im syrischen Bürgerkrieg, die Angst vor Anschlägen ist hoch. An Normalität ist nicht zu denken.
In der Bekaa-Ebene angekommen bietet sich ein trauriges Bild. Alleine hier, dem eigentlich fruchtbare und grünen Tal von etwa 1200 Quadratkilometern Größe, leben an die 500.000 Flüchtlinge. Wie viele es wirklich sind, weiß keiner genau: Die meisten Flüchtlinge sind sunnitische Muslime aus Syrien, von den Christen im Libanon erhalten diese aber nahezu keine Unterstützung. Die Registrierung wurde ausgesetzt – was für die Flüchtlinge bedeutet, keinen Zugang zu Hilfsleistungen mehr zu erhalten. Sie leben in wilden Camps an den Straßen, Bauern vermieten ihren Grund. Bis zu 200 Dollar Miete pro Monat nehmen diese pro Zelt von den Syrern. Ein perfides Geschäft.
Das Flüchtlingswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Deutsche Botschafter Dr. Martin Huth wissen um die Probleme – aber auch sie arbeiten an der Belastungsgrenze. Dr. Huth, selbst mit einer Syrerin verheiratet, viersprachig und ein absoluter Kenner der Materie, berichtet, dass die Deutsche Botschaft alleine 15.000 Emails im Monat erhält. Die Flüchtlinge wollen nach Deutschland, doch die Tür ist fast zu. Auch nach einem Dreivierteljahr Wartezeit sind die Aussichten auf Asyl schlecht – das gilt mittlerweile auch für Familienzusammenführungen. Eine Entwicklung, die sich offenbar in den Camps herumgesprochen hat: Angesprochen auf meine deutsche Heimat fragen Flüchtlinge tatsächlich nach den ausländerfeindlichen Aktionen in Sachsen. Die etwas andere Seite der Flüchtlingsdebatte.
Wie ihnen dennoch geholfen kann? „Beendet den Krieg in Syrien“, sagen alle. Vom Botschafter bis zum Flüchtling Mohammed, der als ehemaliger Sänger in Idlib alles verloren hat und in drei Jahren von Camp zu Camp gezogen ist. Und jetzt eigentlich nur noch nach Hause will.
(Dieser Bericht erschien ebenfalls am Montag, 21. November als Gastkommentar in den Titeln der Braunschweiger Zeitung)