In seiner Rede am Donnerstag, 25. Januar sprach Dr. Christos Pantazis im Niedersächsischen Landtag zu einem AfD-Antrag, der zwangsweise Untersuchungen von minderjährigen Flüchtlingen zur Altersfeststellung fordert:
Sehr geehrte Frau Präsidentin,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
das Jahr war keine zwei Tage alt, da machten – vor dem Hintergrund des tödlichen Messerangriffs auf eine 15-Jährige im rheinland-pfälzischen Kandel – mehrere Bundespolitiker die medizinische Altersprüfung junger Flüchtlinge zum Thema. So wie die AfD hier und heute.
Aber was genau fordern Sie von der Landesregierung in dem hier vorliegenden Antrag? Und hier erlauben Sie mir den ersten Spiegelstrich exemplarisch zu zitieren: „jeden bereits ohne Ausweisdokumente eingereisten sowie neu einreisenden unbegleiteten und nach eigenen Angaben minderjährigen Flüchtling – grundsätzlich und nicht nur im Verdachtsfall – einer medizinischen Untersuchung zur Altersbestimmung zu unterziehen“.
Wissen Sie eigentlich was Sie hiermit fordern? In Ihrem Antrag fordern Sie die Landesregierung auf, systematisch gegen geltendes Recht zu verstoßen, nämlich gegen die UN-Kinderrechtskonvention, gegen die EU-Aufnahmerichtlinie und gegen das Grundgesetz. Denn für eine zwingende medizinische Altersfeststellung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen gibt es gegenwärtig gar keine rechtliche Grundlage.
Und nicht nur das! Die große Mehrheit der Fachwelt (der Deutsche Ärztetag, die Bundesärztekammer und die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin und viele andere) spricht sich nachdrücklich gegen eine obligatorische medizinische Altersfeststellung aus. Der Präsident der Deutschen Ärztekammer, Prof. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery, sieht das obligate Röntgen zur Altersfeststellung – die bis dato genaueste Methode – als Körperverletzung an, da die Strahlen gerade Kinder und junge Menschen in hohem und unnötigem Maße belasten.
Ich zitiere:
„Wenn man das bei jedem Flüchtling täte, wäre das ein Eingriff in das Menschenwohl. Röntgen ohne medizinische Indikation ist ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit.“
Recht hat der Mann!
Und nun zur Faktenlage:
Seit 2015 ist die Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im Rahmen des § 42f SGB VIII in einem abgestuften Verfahren – durch das Jugendamt und nicht im BAMF –, entsprechend kinderrechtlichen sowie europäischen und völkerrechtlichen Vorgaben gesetzlich verbindlich geregelt. Dieses nutzt unterschiedliche Untersuchungsmethoden, um sich dem Alter so gut wie möglich anzunähern.
Dabei werden zunächst etwaige Ausweispapiere oder ähnliche Dokumente gesichtet. Fehlen diese oder wird an den Angaben gezweifelt, führt speziell geschultes Fachpersonal eine sogenannte qualifizierte Inaugenscheinnahme durch.
Neben dem Gesamteindruck werden ferner Auskünfte jedweder Art eingeholt, Zeugen und Sachverständige vernommen, Dokumente sowie Akten einbezogen.
Nach Rücksprache mit Mitarbeitern des Jugendamtes in Braunschweig beispielsweise kann diese Clearingphase bis zu 3 Monate umfassen.
Mir ist in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen, dass das Personal der Jugendämter speziell geschult ist und in der Regel jahrelange Erfahrung vorweisen kann. Schließlich stellt die Ermittlung, ob jemand minderjährig ist, in der Praxis zu den größten Herausforderungen für die beteiligten Fachkräfte und zu den gleichzeitig folgenreichsten Entscheidungen für die Betroffenen.
Daher könnte man Ihren Antrag auch als Misstrauensantrag gegenüber sämtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der niedersächsischen Jugendämter verstehen. Ganz zu schweigen vom Generalverdacht, dem Sie alle geflüchteten jungen Menschen im Hinblick auf ihre Altersangabe aussetzen.
Bestehen im Rahmen dieser qualifizierten Inaugenscheinnahme weiterhin Zweifel, ist im Gesetz die Veranlassung einer medizinischen Untersuchung auch unter heutigen Bedingungen vorgesehen. Dabei muss das Verfahren der Alterseinschätzung auf der Grundlage ethisch und wissenschaftlich vertretbarer Methoden erfolgen und zudem rechtsstaatlichen Grundsätzen genügen. Hiervon ausgeschlossen sind deshalb Methoden, die mit der Würde des Menschen unvereinbar sind, respektive die körperliche Unversehrtheit nach unserem Grundgesetz.
Hierzu führt die aktuelle Gesetzlage aus:
„Die ärztliche Untersuchung ist mit den schonendsten und soweit möglich zuverlässigsten Methoden von qualifizierten medizinischen Fachkräften durchzuführen. Dies schließt beispielsweise Genitaluntersuchungen aus.“
Aber genau das findet sich als Forderung in der Begründung Ihres Antrages. Soviel zur Rechtmäßigkeit!
Übrigens: Weigern sich Betroffene, sich einer Untersuchung zu unterziehen, kann das Jugendamt die Leistungen sehr wohl auch entziehen. Allein die Behauptung, minderjährig zu sein, begründet keinen Anspruch.
Sie sehen: in der täglichen Praxis der Jugendämter wird dieses Verfahren erfolgreich angewandt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
als Staat und Gemeinschaft müssen wir den Anspruch haben und vertreten, dass soziale Leistungen nur von denjenigen in Anspruch genommen werden, die dazu auch berechtigt sind. Keine Frage! Und sollten unter der bestehenden Rechtsgrundlage Umsetzungsdefizite in der Praxis bestehen, Nachbesserungen offen gegenüberstehen.
Die anstehenden Koalitionsgespräche zwischen Union und SPD auf Bundesebene widmen sich genau dieser Operationalisierungsfrage. Allerdings haben diese stets das Kindeswohl im Fokus und sind mitnichten vom einem pauschalen Generalverdacht, wie Sie ihn hier vollziehen, geleitet.
Als Sprecher meiner Fraktion für Migration und Teilhabe steht für uns das Wohl der tatsächlich Schutzbedürftigen im Mittelpunkt. Dies sollte Grundlage unserer Debatte sein, der eine wissenschaftliche Versachlichung guttäte.
Das genau sollte uns wichtiger sein als politische Stimmungsmache mit rechtspopulistischer Symbolpolitik, die an der Realität vorbeigeht und sogar rechtstaatliche Grundsätze in Zweifel zieht
Lassen Sie uns daher um gelingende Integration, gute Betreuung und die gesellschaftliche Teilhabe streiten, ohne aus politischem Kalkül Vorurteile und Ängste zu schüren, um so unsere Gesellschaft zu spalten.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!