„Cannabis: Entkriminalisierung ja! Legalisierung nein!“

Erste Beratung
Cannabis entkriminalisieren – Jugendschutz stärken

Antrag der Fraktion der FDP – Drs. 17/6683

während der Plenarsitzung vom 28.10.2016 im Niedersächsischen Landtag

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,

kaum ein anderes Thema der Drogen- und Suchtpolitik wird öffentlich so vehement und so kontrovers diskutiert wie die Frage nach der Legalisierung von Cannabis. Während sich die sonst gegenüberstehenden (Glaubens-)Positionen beim Einsatz von medizinischem Cannabis mittlerweile einig sind – stehen diese sich in der Frage der Legalisierung von nicht-medizinischem Cannabis nahezu unversöhnlich gegenüber.

Medizinisch betrachtet gilt es heute als erwiesen, dass Cannabinoide bei verschiedenen Erkrankungen, wie Spastik bei multipler Sklerose oder neuropathischen Schmerzen, einen therapeutischen Nutzen besitzen. So beschloss das Bundeskabinett vor kurzem erst ein Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher Vorschriften, um chronisch kranken Patienten nach ärztlicher Indikation zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) mit Medizinalhanf (getrocknete Cannabisblüten, Cannabisextrakte) in kontrollierter pharmazeutischer Qualität versorgen zu können.

Die Legalisierung auch des nicht-medizinischen Cannabis in den US-Staaten Colorado und Washington State 2014 hat auch hier eine Debatte ausgelöst, die in dem nun vorliegenden Antrag seinen Niederschlag findet. Die darin enthaltenen Aspekte wie Auswirkungen des Verbots auf Jugendschutz, Prävention, (Ent-)Kriminalisierung, die staatliche Kontrolle und Regulierung des Marktes sind immer wiederkehrende Faktoren genau dieser Debatte. Hierzulande hat sie in unser unmittelbaren Nachbarschaft dazu geführt, dass beispielsweise die Freie Hansestadt Bremen ein wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt zur kontrollierten Abgabe von Cannabis durchführen möchte.

Schaut man sich die aktuellen Rahmendaten an, stellt man fest, dass Cannabis international und auch in Deutschland die mit Abstand am häufigsten konsumierte illegale Droge ist. Laut epidemiologischen Suchtumfragen haben 4,5 Prozent der deutschen Erwachsenen im letzten Jahr Cannabis geraucht. Besonders häufig ist der Konsum bei 18–25-Jährigen (Zwölf-Monats-Prävalenz: 16,2 Prozent). In dieser Altersgruppe konsumieren etwa vier Prozent regelmäßig Cannabis, wobei die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung „regelmäßig“ – also häufig – als mehr als zehnmal pro Jahr definiert.

In diesem Zusammenhang erscheint allerdings erwähnenswert, dass entsprechende Werte für riskanten Alkoholgebrauch um das Vierfache und für regelmäßiges Tabakrauchen um das Zehnfache höher liegen. Wohlgemerkt – hier handelt es sich um sogenannte legale Drogen! Ein Umstand, der die drogenpolitische Widersprüchlichkeit offenbart!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

auch wenn ich hier nicht auf alle Punkte des hier vorliegenden Antrages dezidiert eingehen werde, möchte ich von seiner Stoßrichtung her grundsätzliche Leitlinien von Suchtpolitik skizzieren.

Dazu gehören:

1) die Verhinderung und Reduzierung von gesundheitlichen Schäden durch Suchtmittelkonsum

sowie

2) die gleichberechtigte gesellschaftliche Teilhabe aller.

Unter genau diesen beiden Aspekten ist die Diskussion um eine Legalisierung von Cannabis zu führen.

Hinsichtlich des ersten Aspektes ist mittlerweile wissenschaftlich fundiert belegt, dass abhängig von Alter, Dosierung und individueller Disposition unterschiedliche akute Folgeschäden durch Cannabiskonsum auftreten können. Hierzu gehören exemplarisch Panikattacken, psychotische Symptome, mangelnde Konzentration und eine gestörte motorische Koordination. Insbesondere ein hochdosierter, langjähriger und intensiver Cannabisgebrauch sowie ein Konsumbeginn im Jugendalter kann mit einer Abhängigkeit, spezifischen Entzugssymptomen, Psychosen und körperlichen Schädigungen (vor allem respiratorische und kardiovaskuläre Erkrankungen) einhergehen.

Diese Darstellung macht deutlich: Cannabis ist mitnichten eine harmlose Substanz! Eine gesetzliche Freigabe zu Genusszwecken ist gerade aus suchtfachlicher Sicht kritisch zu hinterfragen.

Bezüglich des zweiten Aspektes besteht Konsens, dass auch Suchtmittel konsumierende Menschen grundsätzlich vollständig und gleichberechtigt am gesellschaftlichen Leben teilhaben sollten. Die strafrechtliche Drogenprohibition kann bei Cannabis – im Gegensatz zu Alkohol und Nikotin – die gesellschaftliche Teilhabe jedoch erheblich einschränken.

Der hier vorliegende Antrag stellt die Argumentation auf, dass die derzeitigen gesetzlichen Regelungen ihr Ziel nicht erreicht hätten. Dieses ist allerdings wissenschaftlich nicht belegbar! So berichtet die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, dass

„Änderungen des Strafrechts oder seiner Anwendung in anderen europäischen Staaten keinen eindeutigen Effekt, weder in Richtung Konsumrückgang, noch Ausweitung des Konsums“

aufwiesen.

Im Sinne eines sogenannten generalpräventiven Effekts erscheint eher eine Anpassung erforderlich – wie durch die Einführung einer bundeseinheitlichen Eigenverbrauchsgrenze für den Besitz geringer Mengen von Cannabis. Die vorhandenen Regelungen sind allerdings auch weiterhin sinnvoll.

Folglich müsste die politische Handlungsmaxime lauten: Entkriminalisierung ja! Legalisierung nein!

Der hier vorliegende Antrag fokussiert sich in juristischer Hinsicht auch auf das Jugendschutzgesetz. Allerdings gebe ich zu bedenken, dass dieses kein geeigneter Ersatz für die gesetzlichen Regelungen des Betäubungsmittelgesetzes im Umgang mit Cannabisprodukten sein kann. Die Praxis – ich erinnere an die jugendlichen Alkohol-Testkäufer – hat gezeigt, dass es sich hinsichtlich einer Beschränkung des Substanzmissbrauchs als wenig effektiv gezeigt hat.

Grundsätzlich ist das Gemeinwohl gegenüber dem individuellen Interesse Einzelner abzuwägen. Eine im Antrag geforderte Freigabe von Cannabis über eine staatliche Regulierung im Hinblick auf Anbau und Qualität, Handel und Abgabe inklusive Kontrolle würde ferner zu nicht kalkulierbaren Kosten führen. Beim Aufbau eines entsprechenden Verwaltungsapparates würden die entstehenden Kosten von der Allgemeinheit zu tragen sein, der Nutzen aber nur einer kleinen Gruppe der Bevölkerung zugutekommen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

erlauben Sie mir abschließend festzuhalten, dass die von mir skizzierten suchtfachlichen und gesellschaftspolitischen Aspekte gegen die grundsätzliche Legalisierung beziehungsweise Freigabe von nicht-medizinischem Cannabis auf Länderebene sprechen. Allerdings ist es sicherlich politisch nachvollziehbar, sich über neue Wege in der Drogenpolitik Gedanken zu machen, da die Prävalenz von Cannabis trotz repressivem Ansatzes nicht abgenommen hat.

Ziel muss es sein, einen breiten gesellschaftlichen Konsens zur Lösung dieser „Glaubensfrage“ herbeizuführen. Hierzu spricht sich beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Suchtfragen für das Einsetzen einer Ethik-Kommission auf Bundesebene aus.

Wir hier vor Ort werden die notwendige Fachexpertise im federführenden Sozial- und Gesundheitsausschuss sicherlich hinzuziehen.

In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!