Während der Plenarsitzung am 16. Mai 2018 äußert sich Dr. Christos Pantazis als Sprecher für Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung der SPD-Landtagsfraktion zu einem AfD-Antrag, der das aktuelle Verhältnis der Bundesrepublik Deutschland mit Rußland thematisiert.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Zunächst einmal möchte ich auf einen formalen Umstand eingehen. Der Antrag – das muss ich noch einmal wiederholen; ich bin nämlich ein Anhänger des Prinzips des richtigen Postfaches -befindet sich nicht im originären Wirkungskreis des Landes. Es handelt sich vielmehr um einen außenpolitischen Antrag mit bundespolitischer Relevanz. Ich würde daher nochmals die herzliche Bitte äußern, dass Anliegen zukünftig an die richtige Stelle adressiert werden. Insofern wiederhole ich das, was auch vorhin schon gesagt worden ist.
Herr Wirtz, wir mussten auch schon in den Ausschussberatungen die Unsicherheit der Antragsteller zur Kenntnis nehmen. Sie wussten zunächst nicht, welche Stoßrichtung Ihr Antrag haben und in welcher Form er gestellt werden soll. Sie waren sich nicht so ganz sicher, ob es eine Resolution oder ein Antrag sein sollte. Irgendwann haben wir Sie auch noch darüber aufgeklärt, was ein Antrag ist und was eine Resolution. Wenn Sie gleichzeitig eine Debatte hinsichtlich des damaligen Resolutionsentwurfs zu Afrin führen, so will ich sagen: Damals gab es hier in Hannover Ausschreitungen am Flughafen, einen regionalen Ausbruch der Gewalt. Dementsprechend hatte der Resolutionsentwurf einen appellativen Charakter auch an die hiesige Bevölkerung. Das kann man also nicht miteinander vergleichen.
Die Anträge der AfD kommen nicht überraschend. Sie haben zwei Themen aufgegriffen, die für Sie von existenzieller Natur sind, nämlich zum einen das Thema Flüchtlinge und zum anderen – ich nehme das zur Kenntnis – das Thema Russland.
Die Situation in Russland und unser Verhältnis zu Russland sind kompliziert. Mit etlichen Vetos verhindert das Land im UN-Sicherheitsrat regelmäßig Resolutionen zum Krieg in Syrien und macht das höchste Gremium der internationalen Politik damit quasi handlungsunfähig. Unter anderem sind das Bündnis mit dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad sowie darüber hinaus die völkerrechts widrige Annexion der Krim und die Unterstützung der prorussischen Rebellen im Krieg in der Ost-Ukraine aktuell Hindernisse, um ein spannungs freies Verhältnis zu pflegen – ganz abgesehen von den Hackerangriffen und vor allem von der Finanzierung rechtspopulistischer Parteien in ganz Europa. Fazit: Russland ist in den letzten Jahren ein zunehmend schwieriger Partner geworden, wie es der Bundesaußenminister richtig konstatiert hat.
Sicherlich gibt es hier Differenzen. Die Frage, die wir uns in diesem Zusammenhang stellen müssen, ist aber: Nach welchen Spielregeln wird auf internationaler Ebene gespielt? Gilt die Stärke des Rechts oder das Recht des Stärkeren? – Da bin ich mir mit Blick auf die Russische Föderation manchmal nicht so richtig sicher. Und doch stimmen wir mit Ministerpräsident Weil darin überein, dass es Sicherheit in Europa nur dann gibt, wenn ein gutes Einvernehmen mit Russland herrscht. Das schließt Kritik nicht aus – z. B. dann, wenn es um Syrien geht – , wir müssen aber auch immer offen für den Dialog mit Moskau sein und diesen engagiert führen. Diese Position ist in der SPD Mehrheitsmeinung. Deutschland muss auch aufgrund seiner geografischen Lage und seiner Geschichte besonders intensiv nach Verständigungsmöglichkeiten mit Russland suchen. Das ist nicht nur eine Frage der Vernunft, sondern das ist vor allem den Sicherheitsinteressen und dem Friedenswillen der deutschen Bevölkerung geschuldet, dem wir uns selbstverständlich auch verpflichtet fühlen.
Im Sinne sozialdemokratischer Tradition – sowohl Willy Brandt als auch Egon Bahr sind vorhin angesprochen worden – gilt es, eine maßvolle Außenpolitik zu betreiben. Es ist natürlich eine Politik der Deeskalation. Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang bitte einen Hinweis: Wenn ich das Wort „Deeskalation“ in Verbindung mit der AfD höre, dann entbehrt das nicht einer gewissen Komik, gerade dann, wenn es um die Radikalisierung der Sprache geht. Wenn wir uns einer Politik der Deeskalation verpflichtet fühlen, dann muss diese einer Handlungsmaxime folgen, nämlich der alten guten sozialdemokratischen Tradition: Wandel durch Annäherung, selbstverständlich ausgerichtet an Verständigung, Ausgleich und Frieden. Das allerdings, ohne blauäugig die Realitäten zu verkennen.
Ich komme jetzt zum Inhalt Ihres Antrags. In Ihrem Antrag stellen Sie Behauptungen in den Raum, die sämtlich aus Zeitungsartikeln zusammengetragen worden und bereits alle in ihrer Wirkung widerlegt sind. Fragt man beispielsweise beim Auswärtigen Amt nach, dann stellt man hinsichtlich der Forderungen, die Sie dort erheben, nämlich sich für eine Deeskalation des Konflikts und für Verständigung mit der Russischen Föderation einzusetzen, fest: Das sind die Aufrechterhaltung und die Pflege des Dialogs und der Dialogkanäle. Und Sie haben sicherlich auch festgestellt, dass der Bundesaußenminister am 10. Mai den Außenminister Lawrow in Moskau getroffen hat. Dort sind auch Themen wie z. B. die Lage im Bürgerkriegsland Syrien, der Konflikt in der Ost-Ukraine sowie das deutsch-russische Verhältnis diskutiert worden. Selbstverständlich sind dort nicht nur bilaterale Verträge über einen Wissenschaftsaustausch unterzeichnet oder auch künftige Konsultationen auf Staatssekretärsebene vereinbart worden, sondern es wird sogar noch ein weiterer Diskussionsprozess in Gang gesetzt, um das Problem der Ost-Ukraine schrittweise lösen zu können. Auch das ist vereinbart worden. Dementsprechend ist es auch das Ziel der Bundesregierung, in zivilgesellschaftlichen Bereichen Menschen aus Deutschland und Russland zusammenzubringen, um das Verständnis untereinanderzu verbessern. Die Bundesregierung ist also bereits dabei.
In Ihrem nächsten Punkt geht es darum, die Ausweisung russischer Diplomaten rückgängig zu machen. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Ausweisung russischer Diplomaten die Folge der Vergiftung von Sergej Skripal und seiner Tochter war, die am 4. März 2018 in der englischen Stadt Salisbury bewusstlos aufgefunden wurden. Dementsprechend ist das ein Akt der Solidarität der europäischen Staatenfamilie gewesen, der wir uns weiterhin verpflichtet fühlen. Und dann fordern Sie die Rückführung des NATO-Kontingents aus den baltischen Staaten aufgrund der Konfliktsituation. Ich habe es eben dargestellt: An ihre Ostflanke hat die NATO insgesamt 4.000 Soldaten verlegt; jeweils 1.000 Soldaten nach Polen, Lettland, Litauen und Estland. Denen stehen 60.000 bis 80.000 russische Soldaten gegenüber. Wenn das eine Eskalation sein soll und sich Russland dadurch in irgendeiner Weise bedroht fühlen sollte, dann wäre das für mich nicht ganz nachvollziehbar. Eher fühlen sich die genannten Staaten aufgrund des neoimperialen Auftretens Russlands in ihrer Integrität bedroht.
Zum Abschluss möchte ich Ihnen gern noch einen guten Rat mit auf den Weg geben. Es gibt eine Institution, die selbstverständlich dafür da ist, für Deeskalation zu sorgen, eine Institution, die übrigens auch schon den Friedensnobelpreis erhalten hat, die schon seit Jahrzehnten dem Frieden, der Gerechtigkeit und vor allem der Völkerverständigung dient: Das ist die Institution Europa. Dementsprechend lassen Sie uns gemeinsam das Haus Europa bauen. Das ist der richtige Schritt in Richtung Frieden. Ich würde mir wünschen, auch Sie würden das irgendwann einmal begreifen.