Deutliche Kritik an populistischem AfD-Antrag zum Familiennachzug für Flüchtlinge

Während der Plenarsitzung am 17. Mai 2018 geht Dr. Christos Pantazis als Sprecher für Migration und Teilhabe der SPD-Landtagsfraktion auf einen AfD-Antrag ein, der sich mit der auf Bundesebene gefundenen Lösung zum Familiennachzug für Flüchtlinge beschäftigt. Dr. Pantazis kritisiert dabei deutlich den Populismus des AfD-Antrags und die falschen Zahlen, mit denen hier gearbeitet wird.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Das Deutschlandbild, das hier gerade gezeichnet worden ist, entspricht nicht der Realität. Das muss ich auch ganz offen sagen. Das, was Sie gerade skizziert haben, weisen wir alle, denke ich, weit von uns. Ich gehe dementsprechend sofort auf das ein, was Sie in Ihrem AfD-Antrag „Familiennachzug dauerhaft aussetzen“ behaupten.

Im Antragstext schreiben Sie, dass die quantitative Einhaltung der Kontingentregelung nicht kontrollierbar sei, dass die Kriterien der bestehenden Härtefallregelung nach Belieben interpretier- und auslegbar seien und dass als Folgen davon die Zahl der Zuwanderer zusätzlich unbegrenzt erhöht werden könne. Dazu würde ich sehr gerne auf die Faktenlage verweisen. Das Kabinett hat in seiner Sitzung am 9. Mai – Ihr Antrag ist ja vom 8. Mai – den Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Familiennachzuges beschlossen. Dieser Gesetzentwurf setzt die Vereinbarung des Koalitionsvertrages 1:1 um. Im Gegensatz zum ersten von Horst Seehofer vorgelegten Entwurf konnten viele Verbesserungen erreicht werden; das geben wir offen zu. Das Verfahren ist nun praktikabel ausgestaltet.

In einer Verwaltungsvereinbarung werden die Kriterien für die Bestimmung der 1.000 Nachzugsberechtigten durch das Bundesministerium des Innern und das Auswärtige Amt verbindlich festgelegt und regelmäßig gemeinsam überprüft. Der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten erfolgt weiterhin im Visumsverfahren. Das Bundesverwaltungsamt des Bundesministeriums des Innern bereitet die Entscheidung vor und trifft eine intern rechtlich verbindliche Auswahlentscheidung. Die Auswahl der nachziehenden Familienmitglieder erfolgt also über eine zentralisierte Entscheidung im Inland. Das ist uns insgesamt sehr, sehr wichtig; denn nur so kann gewährleistet werden, dass die dringlichsten Fälle
auch zuallererst nachziehen.

Sie sehen, das ist in dem bestehenden Gesetzentwurf alles reglementiert. Wenn es um die Härtefallregelung geht, wenn also ein humanitärer Grund vorliegt, sind beispielsweise folgende Kriterien maßgeblich – diese sind auch ganz ausdrücklich im Gesetzestext geregelt: die Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft ist seit Langem nicht möglich gewesen, ein minderjähriges lebendes Kind ist betroffen, es besteht ernsthafte Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit im Aufenthaltsstaat, oder es liegt eine schwerwiegende Erkrankung, Pflegebedürftigkeit oder Behinderung vor. Das sind klare Kriterien, die jetzt Niederschlag in dem Gesetzentwurf gefunden haben.

Das zu Ihrem Antragstext. Noch viel erschreckender finde ich allerdings Ihren Begründungsteil. Dort schreiben Sie – Sie haben das auch schon ein wenig anklingen lassen -:
„Der Bürgerkrieg steht damit vor seinem Ende, und im Land beginnt der Wiederaufbau. Damit entfällt für syrische subsidiär Schutzberechtigte das Aufenthaltsrecht in Deutschland. Die Wiederzusammenführung von Familien hat daher in Syrien zu erfolgen.“ Ich frage Sie: In welchem Paralleluniversum leben Sie eigentlich? Wissen Sie eigentlich, wie die Situation in Syrien aktuell ist? Wenn Sie sich beispielsweise im Internet informieren, stellen Sie fest, dass aktuell Kämpfe in Hamma, in Deir es-Zor, in Damaskus und dergleichen stattfinden. Ich weiß, Ihre Bundestagsfraktion ist vom Baschar-al-Assad-System eingeladen worden, und dementsprechend hat man Ihnen sicherlich die schönsten Seiten des
Landes gezeigt. Aber Frieden herrscht dort seit Jahren nicht! Seit sieben Jahren ist dort ein Dauerkrieg, und der ist so dermaßen fragmentiert, dass das Ende definitiv nicht absehbar ist.

In Ihrem Begründungsteil schreiben Sie weiter, dass es die Vorgehensweise vieler Syrer sei, ein Familienmitglied mit Brückenkopffunktion nach Deutschland zu entsenden. Und dann konnotieren Sie zwischen Messerattacken, syrischen Flüchtlingen und der Frage des Familiennachzuges. Ich frage mich ernsthaft, welches Menschenbild dieser Begründung eigentlich
zugrunde liegt. Die Antwort hat, glaube ich, gestern die Fraktionsvorsitzende im Bundestag gebracht. Ihre Frau Weidel hat in einer Haushaltsdebatte gesagt: „Burkas,
Kopftuchmädchen und alimentierte Messermänner und sonstige Taugenichtse“. „Richtig!“ habe ich gerade von Ihrer Seite gehört. Wissen Sie was? Das ist unmöglich! Das hat mit dem christlichen Menschenbild nichts zu tun und ist auch mit Artikel 1 des Grundgesetzes absolut unvereinbar. Dass Sie das gerade bestätigt haben, zeigt eindeutig, welch Geistes Kind Sie sind.

Gleichzeitig schreiben Sie in Ihrer Begründung, dass die Sozialsysteme in Deutschland an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit geraten seien. Wissen Sie eigentlich, mit welcher Zahl wir es aktuell zu tun haben? 60.000 ist die Zahl. Das ist die Zahl, die Experten bei einer kompletten Wiederaufnahme des Nachzuges nennen. Zum Abschluss möchte ich sagen, dass der vorliegende Gesetzentwurf – den Sie kritisieren – alles in allem ein tragfähiger Kompromiss ist, zu dem wir als Koalitionspartner stehen, weil er eine tragfähige Vereinbarung zwischen Menschlichkeit und Steuerung darstellt. Ihr Antrag allerdings ist weder inhaltlich noch sachlich oder menschlich tragfähig und dem Grunde nach, ehrlich gesagt, obsolet.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.