Erste Beratung
Doppelte Staatsangehörigkeit erhalten!
Antrag der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 17/7274
während der Plenarsitzung vom 02.02.2016 im Niedersächsischen Landtag
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident,
verehrte Kolleginnen und Kollegen,
laut einer Studie ist – nach den Vereinigten Staaten – die Bundesrepublik Deutschland das zweitbeliebteste Einwanderungsland der Welt. Sehr richtig: – Deutschland ist ein Einwanderungsland – auch wenn wir uns für eine lange Zeit dazu nicht bekannt haben, bleibt allerdings festzuhalten, dass unser Land auch vor dem historischen Kontext immer schon ein bedeutendes Einwanderungsland im Herzen Europas war und ist.
Historisch gesehen wanderten im 16. und 17. Jahrhundert beispielsweise Hugenotten aus Frankreich nach Deutschland aus und zur Zeit der Industrialisierung vermehrt sogenannte Ruhrpolen in das damalige Deutsche Kaiserreich.
Im vergangenen Jahrhundert waren es in den 60er- und 70er-Jahren schließlich die Gastarbeiter und gegen Ende der 80er-Jahre eine große Anzahl von Einwanderern aus den ehemaligen Sowjetrepubliken und Polen.
Diese Beispiele ließen sich nahtlos weiter fortführen. Ganz abgesehen vom erhöhten Zuzug von Flüchtlingen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
schaut man sich die Fakten genau an, so stellt man fest, dass mittlerweile Einwanderer aus über 190 Ländern Deutschland ihre Heimat nennen und der Gesamtanteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund sich auf circa 19 Prozent – also circa 15 Millionen Einwohner – beläuft. Der Anteil ohne deutsche Staatsangehörigkeit beläuft sich aktuell beispielsweise auf knapp 9 Prozent – also circa 7 Millionen Einwohner.
Der kanadische Premierminister, Justin Trudeau, hat diesen für sein Einwanderungsland vergleichbaren Umstand wie folgt beschrieben: „Diversity is our strength!“ – „Vielfalt ist unsere Stärke!“
Und auch unser Land bezieht seine Stärke aus der Vielfalt, dem Engagement und den Ideen von Menschen unterschiedlichster Herkunft. Genau aus diesem Grund gilt es, sich für ein weltoffenes Niedersachsen einzusetzen und Vielfalt und Teilhabe zu stärken.
Zwingende Voraussetzung einer solchen teilhabeorientierten Politik stellt eine gelebte Willkommens- und Anerkennungskultur von zugewanderten Menschen und ihren hier geborenen Nachkommen dar.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
elementarer Bestandteil stellt dabei ein modernes und aufgeklärtes Staatsbürgerschaftsrecht dar, das der gesellschaftlichen Realität entsprechen muss. In unserem Fall erfordert es ein klares Bekenntnis, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und das die doppelte Staatsbürgerschaft elementar dazugehört!
Dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit ist leider erst im Jahre 2000 Rechnung getragen worden. Sah bis dato das Grundgesetz in Art. 116 weiterhin eine Definition der Staatsangehörigkeit über die Abstammung vor, so wurde dieses Prinzip erst durch die rot-grüne Bundesregierung um das Geburtsortsprinzip erweitert. Hierfür gebührt der damaligen Bundesregierung unter Gerhard Schröder auch heute noch Respekt und Anerkennung!
Die damalige Modernisierung des deutschen Staatsangehörigenrechts war ein wichtiger Fortschritt, da hierdurch auch die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ermöglicht wurde. Und mittlerweile ist die doppelte Staatsangehörigkeit nicht nur bei EU-Bürgerinnen und -Bürgern, sondern in vielen weiteren Fällen, wie beispielsweise für Kinder aus binationalen Familien oder für Spätaussiedlerinnen und Spätaussiedler ohne weiteres möglich und wurde bisher nicht infrage gestellt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen, dass bei Debatten rund um das Staatsbürgerschaftsrecht, Integration, Leitkultur, als auch der europäischen Integration emotional aufgeladene Welten hinsichtlich des Staats- und Gesellschaftsverständnisses aufeinanderprallen.
Auf der einen Seite steht der verfassungspatriotische Ansatz als Alternative zum ethnischen Staatsverständnis und auf der anderen genau dieser ethnisch-emotional geprägte nationalpatriotische Ansatz.
Dieser emotional aufgeladene Gegensatz kann wahltaktisch sehr wohl instrumentalisiert werden. Roland Koch beispielsweise hat sich genau diesen Gegensatz 1999 zu Nutze gemacht, indem er in einer unsäglichen Unterschriftenkampagne „Ja zur Integration – Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“ mit groben Argumenten an Überfremdungsängste in der deutschen Bevölkerung gegen die damalige Reform des Staatsbürgerschaftsrechts vorging.
Unter diesem Eindruck war der Preis dieser Reform die Einführung eines Optionszwanges für hier geborene Kinder ausländischer Eltern.
Dieser „Preis“ zwang die betroffenen jungen Menschen in eine unzumutbare Situation. Mussten sich diese – mit Vollendung des 18. Lebensjahres – zwischen ihrer Lebenswirklichkeit als Deutsche und ihrer Verbundenheit mit den familiären Wurzeln entscheiden.
Sich als Deutscher zu fühlen, allerdings zu wissen, dass man dieses nur unter Vorbehalt ist, weil man seine Loyalität zu Deutschland bezeugen muss, indem man die Verbindungen zu seinen familiären Wurzeln zu trennen hat, hat mit Willkommens- und Anerkennungskultur rein gar nichts zu tun!
Die diskriminierende Praxis des Optionszwanges konnte in der Koalitionsvereinbarung auf Bundesebene 2013 weitgehend beseitigt werden. An dieser Einigung waren Sie, sehr geehrter Herr Minister Pistorius, maßgeblich beteiligt – herzlichen Dank dafür!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
mit dem Erstarken des Rechtspopulismus und dem erodierenden Wählerpotenzial am rechten Rand unserer Gesellschaft ist die wahltaktisch motivierte Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft erneut entflammt – wobei dieselben Ausgrenzungsmechanismen an den Tag gelegt werden!
Da werden scharfmacherische Vorschläge im Überbietungswettbewerb mit Symbolthemen wie dem Burka-Verbot, Deutsch im Grundgesetz und eben auch die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft gemacht.
Seinen traurigen Höhepunkt fand diese populistisch geführte Debatte im symbolischen Beschluss des Essener CDU-Bundesparteitages, – und zwar gegen das Votum der Parteispitze – den Optionszwang für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern wiedereinzuführen – und entsprechend zum Wahlkampfthema zu machen!
Lassen Sie mich hier eines klarstellen: Ich halte die hier geführte neue alte Debatte für hochgefährlich, weil durch die wahltaktisch sicherlich gewünschten Schlagzeilen letztendlich ein Klima der Unsicherheit und Angst erzeugt wird. Und Angst ist die Triebfeder für Populismus!
Nicht nur das! Hier wird eine wichtige Errungenschaft der Integration – die der doppelten Staatsbürgerschaft – mit dem vermeintlichen Sicherheits- und Loyalitätsrisiko vermengt. Das ist schlichtweg unverantwortlich!
Und das in einer Zeit, wo unter dem Eindruck der fortschreitenden Globalisierung zunehmend Grenzen erodieren und in unserem Einwanderungsland immer mehr Menschen bikulturell aufwachsen. Ich erinnere nur daran, dass auch es in diesem hohen Hause mittlerweile etliche Kolleginnen und Kollegen gibt, die entsprechend mehr als eine Staatsbürgerschaft besitzen.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
vor diesem Hintergrund fordern wir mit diesem Entschließungsantrag die Landesregierung auf, sich allen Versuchen, die doppelte Staatsangehörigkeit einzuschränken, abzuwerten oder gar abzuschaffen, entgegenzustellen. Wir tun dies, weil wir der festen Überzeugung sind, dass die doppelte Staatsangehörigkeit elementarer Bestandteil eines modernen und aufgeklärten Staatsbürgerschaftsrechts ist und ferner der Lebensrealität vieler Menschen, die sich in zwei Kulturen und Staaten zu Hause fühlen, gerecht wird.
Lassen Sie mich daher – als Verfassungspatriot – abschließend an Sie alle appellieren, hier und heute gemeinsam ein unmissverständliches Zeichen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu setzen, indem wir alle durch Zustimmung zu diesem Antrag in der Frage des Staatsbürgerschaftsrechts Anstand und Haltung zeigen und Ausgrenzung und Spaltung eine klare Absage erteilen!
In diesem Sinne danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit!