„Flüchtlinge: Größte Herausforderung ist die Integration und Teilhabe“

Erste Beratung

Entwurf eines Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung der §§ 43 – 45 a des Aufenthaltsgesetzes (Nds. Integrationsgesetz – NintG)

gehalten in der Plenarsitzung am 17.12.2015

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident,
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie mich – bevor ich hier auf das in Erstberatung vorliegende sogenannte Niedersächsische Integrationsgesetz eingehe – kurz die Leitlinien einer teilhabeorientierten Politik in Anbetracht der aktuellen Herausforderungen, denen unser Land bei der Integration von Menschen unterschiedlicher Herkunft gegenübersteht, skizzieren.

Entsprechend unserer Koalitionsvereinbarung stehen wir ein für ein Weltoffenes Niedersachsen, in dem wir Vielfalt und Teilhabe stärken wollen. Diesem Prinzip – da wir Migrationspolitik seit dem Regierungswechsel als Querschnittsthema definieren – ist die Arbeit in allen Ressorts der Landesregierung untergeordnet.

Im Sinne einer teilhabeorientierten Migrationspolitik lehnen wir daher eine Trennung in „wir“ und „ihr“ ab und haben den in der Gesellschaft teilweise mit falschen politischen Voraussetzungen und Annahmen verbundenen Begriff „Integration“ durch den Anspruch auf Teilhabe und Partizipation ersetzt.

Auch wenn der aktuelle Anstieg der Zuwanderung insbesondere seit Anfang September unser Land vor große Herausforderungen stellt, folgt unsere Politik auch weiterhin eben genau dieser Maxime.

Wie ich bereits in der Haushaltsberatung angeführt habe, verwenden wir zurzeit unsere ganze Kraft für die Versorgung und Unterbringung der vielen Flüchtlinge. Die größere Aufgabe stellt jedoch die Integration durch Teilhabe der vielen neuen Menschen in unserer Gesellschaft dar. Diese neue Aufgabe wird uns über lange Zeit sehr intensiv fordern. Weit über die laufende Wahlperiode hinaus.

Und das spiegelt sich bereits jetzt, im soeben verabschiedeten Haushal, wieder. Denn verteilt auf die verschiedenen Ressorts haben wir soeben beschlossen 1,3 Milliarden Euro für Maßnahmen der Migration und Teilhabe – und zwar grundsolide – zu investieren. Genau das ist das Kapital, was wir heute investieren, und morgen – durch gelebte Teilhabe – vielfach ernten werden!

Wenn wir dieses hier und heute beschlossen haben, dann haben wir dieses nicht ohne eine strukturelle Stoßrichtung getan. Diese verfolgt landesseitig nämlich das Ziel, ein flächendeckend lokales, also dezentrales Migrations- und Teilhabemanagement zu etablieren! Denn es ist unsere feste Überzeugung, dass Dezentralität Teilhabe begünstigt.
Unabhängig davon, ob es sich um die Unterbringung, die Vermittlung von Arbeitsangeboten oder das Erlernen der deutschen Sprache handelt.

Beispielsweise ist dieses der Fall bei der Förderung ehrenamtlicher Hilfen wie den Integrationslotsinnen und Integrationslotsen, die wir mit Mitteln des Sozialministeriums stützen. Ferner will ich ausdrücklich die Koordinierungsstellen für Migration und Teilhabe nennen, die im kommunalen Bereich angesiedelt sind und eine Weiterentwicklung der dezentralen koordinierenden Migrationsarbeit in der Fläche den Kommunen vor Ort ermöglichen. So haben von 48 antragsberechtigten Gebietskörperschaften 47 eine solche Koordinierungsstelle bereits eingerichtet. Anhand dieses Beispiels kann man sehen, dass die Mittel des Landes in der Fläche sehr gut angenommen werden.

Das Gleiche gilt für die Flüchtlingssozialarbeit, die wir massiv ausweiten, die Anerkennungsberatung des IQ-Netzwerks oder das Sonderprogramm „Sprachförderung für Erwachsene“, die an bestehenden Strukturen der Erwachsenenbildung dezentral in der Fläche eine sprachliche und soziale Teilhabe ermöglichen.

Anrede,

vor diesem Hintergrund greift der hier in Erstberatung vorliegende Gesetzentwurf bereits von der Stoßrichtung her zu kurz. Da er dem landesspezifischen Ansatz zuwiderläuft und in seiner Grundstruktur die Gefahr von Doppelstrukturen in sich birgt, für die wir als Land entsprechend der Subsidiarität aufkommen müssten.

Kommunal mag ein Integrationszentrun – wie es der originär zuständige Landkreis Goslar zu implementieren sucht – ein migrationspolitischer Weg im örtlichen Wirkungskreis sein. Für die Landesebene sehen wir allerdings die bereits im Bundesaufenthaltsgesetz geregelte Integration von Ausländern in das wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftliche Leben mit Hilfe von Integrationskursen durch ein niedersächsisches Integrationsgesetz – auch in Anbetracht der von mir bereits dargestellten bestehenden Strukturen – als obsolet an!

Ganz abgesehen davon müssen Sie zugeben, dass die Entstehungsgeschichte dieses Ausführungsgesetzes nicht einer gewissen Komik, wenn nicht sogar Tragik entbehrt. Denn individuelle Integrationsvereinbarungen wie Sie sie hier fordern, haben Sie sich bei der Integrations-Frontfrau Nummer eins der CDU, Julia Klöckner, abgekupfert. Und wie ich schon vorhin erwähnte, strebt der Landkreis Goslar bereits seit längerer Zeit in seinem eigenen Wirkungskreis ein, dem Namen nach, entsprechendes kommunales Integrationszentrum an und hat sich durch das Agieren ihres dortig ortsfremden Hauptautors mit einer Doppelplanung solcher Zentren konfrontiert gesehen.

Und da auch nach jahrelanger Erfahrung – genau genommen zehn Jahre – offensichtlich immer noch Klärungsbedarf besteht, erlaube ich mir in diesem Zusammenhang nochmals die Zuständigkeiten zu erläutern: Für die dezentrale Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen, aber auch für die Bewilligung eines solchen Zentrums sind die Landkreise und kreisfreien Städte originär zuständig und nicht – ich erlaube mir hier unseren Kollegen Dr. Saipa zu zitieren – „selbsternannte Integrationskenner, die sich ein neues Image geben wollen“.

Ich fasse daher abschließend zusammen: Das in dieser Form hier vorliegende Integrationsgesetz betrachten wir – auch in Anbetracht der von mir bereits landesseitig existierenden Instrumente – als obsolet. Und ich persönlich werde auch den Eindruck nicht los, dass, nachdem man im Umfeld dieser Gesetzesgenese soviel Porzellan im Landkreis Goslar zerschlagen hat, man den Landtag durch Einreichung dieses Entwurfes öffentlichkeitswirksam zu instrumentalisieren sucht. Aber ich denke, dass wir in der anstehenden Ausschussberatung genug Zeit haben werden, dieser Frage auf den Grund zu gehen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.