Sehr geehrter Herr Präsident!
Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Dem Grunde nach, Herr Oetjen, was die Ausführungen Ihres Entschließungsantrages betrifft, also die Reform des Dublin-Systems, die Aufstockung der Ausstattung der Grenzschutz-agentur Frontex und der weiteren Punkte, die Sie in Ihrem Antrag erwähnen, sind wir gar nicht so weit auseinander. Das stimmt.Weil das so ist, haben wir ja im Jahr 2015 – wie Sie in der Begründung gerade ebenfalls erwähnt haben – einen Antrag auf eine faire Regelung des europäischen Asylsystems fraktionsübergreifend beschlossen. Sie bemängeln nun aber in Ihrem Antrag, dass seitdem nicht genügend passiert ist. So ganz stimmt das natürlich nicht. Sie haben es eben auch selbst eingeschränkt. Denn schon vor der Flüchtlingskrise 2015 hatte die Europäische Kommission begonnen, die gesamte Asyl- und Migrationspolitik zu überarbeiten und den Schutz der Außengrenzen zu verstärken. 2016 hat sie umfassende Vorschläge vorgelegt, um das Dublin-System zu reformieren und ein echtes europäisches Asylsystem zu schaffen. So umfasst dieses System eine Angleichung der Asylregelungen in der EU, eine solidarische Flüchtlingsverteilung sowie einen starken, gemeinsamen Schutz der EU-Außengrenzen. Sie sehen, es ist alles nicht neu. Das neue System ist gerechter und effizienter. Es formuliert klare Rechtspflichten für Asylbewerber, räumliche Beschränkungen für den Erhalt materieller Leistungen sowie Konsequenzen bei Zuwiderhandlungen. Damit soll Missbrauch der Asylsysteme unterbunden und verhindert werden. Durch gemeinsame europäische Maßnahmen – beispielsweise zur Kontrolle der EU-Außengrenzen – konnte die Zahl der illegalen Migration – Sie haben es gerade ebenfalls angesprochen – seit ihrem Höhepunkt im Oktober 2016 in der EU um 95 Prozent verringert werden. Sie sehen, die Zahlen sprechen für sich. Nun auf Ihre Forderungen, die – ich habe es gerade gesagt -, ja nicht sonderlich neu sind, einzeln eingegangen:
Erstens. Die Grenzschutzagentur Frontex soll bis 2020 auf 10 000 Beamte aufgestockt werden. Das ist ebenfalls ein Vorschlag der EU-Kommission. Wie gesagt, das ist nicht ganz neu, aber darüber besteht ja Konsens. Die Mitgliedstaaten äußern jedoch aktuell Zweifel. Selbst aus deutscher Sicht ist die personelle Aufstockung bis 2020 äußerst ambitioniert. Das gilt – wie aus einer offiziellen Stellungnahme des BMI hervorgeht – aber nicht nur personell, sondern auch im Hinblick auf die Befugnisse. Italien und Griechenland beispielsweise fürchten um Souveränität, wenn Frontex mehr Kompetenzen bekäme.Damit wären wir bei der Seenotrettung. Das wäre nämlich die Kompetenzausweitung. Für die Sozialdemokratie kann ich eindeutig erklären, dass wir uns ohne Wenn und Aber zur Seenotrettung bekennen.Wenn sich Europa als Wertegemeinschaft versteht, dann muss Humanität – also die Rettung von Menschenleben – keine Frage des Ob, sondern stets des Wie sein und somit eine Selbstverständlichkeit darstellen. Absolut d’accord. Zweiter Punkt, Reform des Dublinsystems. Dass eine Reform erfolgen muss, ist völlig unbestritten. Wie Sie aber selbst genau wissen, scheitert eine Reform nicht an Deutschland, sondern vornehmlich an der Blockadehaltung – allen voran – der osteuropäischen Visegrád-Staaten. Aber auch Österreich stellt eine geregelte Verteilung von Flüchtlingen infrage. Italien will von einer Reform bislang nichts wissen, obwohl es zu den Ländern gehört, die von einer Reform profitieren und durch sie deutlich entlastet werden würden. Ungarns Ministerpräsident, mit dem sich Herr Salvini regelmäßig in den Armen liegt, lehnt übrigens jede Aufnahme von Flüchtlingen schlichtweg ab. Hier eine Quotenverteilung nach Größe und Wirtschaftsleistung der Länder zu fordern, ist lobenswert und unterstützenswert – keine Frage -, aber – wie ich befürchte -aufgrund der institutionellen Defizite, die auch Sie angesprochen haben, schlichtweg nicht durchsetzbar.
Realistischer scheint eher ein auf Anreize ausgerichtetes System zu sein, um Binnenwanderungen zu unterbinden. Auch da müssen wir uns schrittweise der Realität stellen. Drittens, Zentren an den EU-Außengrenzen. Aus unserer Sicht ist es fraglich, ob solche Zentren an den Außengrenzen überhaupt nach EU-Vertrag eingerichtet und verwaltet werden können. Selbst wenn das möglich wäre, könnten sie nicht einfach eingerichtet werden. Mit allen Mitgliedstaaten müsste geklärt und vereinbart werden, dass die Entscheidungen dieser Zentren verbindlich sind und von allen, was die Verteilung betrifft, auch anerkannt werden.Ihre vierte Forderung nach humanitären Schutzzonen liest sich gut, doch es ist die Frage, wie das beispielsweise in Failed States wie Libyen funktionieren soll. Wer konkret soll diese Schutzzonen einrichten und den Betrieb sicherstellen? Wie wollen Sie verhindern, dass diese offenen Schutzzonen – Zitat! – „überfüllt“ werden? Sie werden doch sicherlich nicht in Abrede stellen wollen, dass solche Einrichtungen einen Sogeffekt auf viele Schutzsuchende ausüben könnten.Ich fasse daher zusammen: Sie erheben in Ihrem Antrag Forderungen, die nicht neu sind und – wie Sie vermutlich genau wissen – in Anbetracht der aktuellen Debatte nicht leicht umsetzbar sind. Deswegen müssten wir uns auch über eine institutionelle Reform der Europäischen Union unterhalten. Viel interessanter finde ich aber das, was ich in Ihrem Antrag nicht lese. Ich will es medizinisch ausdrücken: Sie formulieren symptomatisch, nicht ideologisch. Wenn Sie jedoch die Symptome effektiv und langfristig bekämpfen wollen, dann müssen Sie zum tatsächlichen Kern der Migrationspolitik vorstoßen, nämlich zu der Bekämpfung von Fluchtursachen. Davon findet sich in Ihrem Antrag kein einziges Wort. Der Entschließungsantrag ist innenpolitisch motiviert – dementsprechend auch die Beantragung, ihn im Innenausschuss zu beraten -, aber er bedarf auch einer europapolitischen und geostrategischen Ausrichtung. Deswegen beantragen wir hiermit die Mitberatung im Ausschuss für Bundes- und Europaangelegenheiten.
Lassen Sie uns daher insbesondere über eine neue europäische Afrikapolitik reden, wobei wir mit gezielten Fördermaßnahmen vor Ort Arbeitsplätze schaffen, damit junge Menschen eine Perspektive haben, ohne sich auf eine lebensgefährliche und illegale Reise zu begeben und dabei in die Hände von Menschenhändlern zu geraten. Der beste Weg zur Steuerung der Migration ist und bleibt die Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung. Lassen Sie uns auch über europaweite soziale Standards, und zwar für alle Menschen reden, um Binnenmigration zu verringern. Gerade mit Blick auf den Fachkräftebedarf in Europa sollten wir auch über Einwanderungsregeln reden, die gezielt und bedarfsgerecht Zuwanderung ermöglichen, z. B. mittels einer blauen Karte der EU. Darüber würde ich mich gern mit Ihnen für ein gemeinsames Signal nach Berlin und Brüssel einsetzen und daran auch sehr gerne beteiligen. In diesem Sinne freue ich mich auf die Ausschussberatung und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.