„Politik muss in der Flüchtlingskrise Orientierung geben“

Asylverfahren entlasten und vorübergehenden Schutz durch spezifischen Flüchtlingsstatus gewähren – Gesetzentwurf zur Gewährung vorübergehenden nationalen humanitären Schutzes in den Bundesrat einbringen

Es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident,
Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

lassen Sie mich – bevor ich mich dem hier zur ersten Beratung vorliegenden Bundesratsgesetzentwurf widme – eine kurze Einschätzung der Gesamtlage abgeben. Deutschland im Herbst 2015 sieht sich mit der Herausforderung einer Flüchtlingskrise konfrontiert – der Innenminister hat dies heute morgen im Rahmen der unsäglichen Geschäftsordnungsdebatte nochmals herausgestellt. Und ein Politmagazin dieser Tage schreibt „Nachdem Deutschland ein Sommermärchen erlebt hat, droht in der Flüchtlingskrise nun winterliche Desillusionierung.“ Auch in diesem Plenarabschnitt hat die Flüchtlingspolitik erneut einen besonderen Stellenwert und sorgt zugleich für hitzige Debatten.

Alle Politikebenen in unserem Land laufen in dieser Frage auf Hochtouren. Die Landesregierung, deren Krisenstäbe im Schichtbetrieb arbeiten, musste viele Kommunen bei der Erstaufnahme um Amtshilfe bitten und schafft gleichzeitig Tausende weiterer Plätze in den landeseigenen Erst- und Notaufnahmeeinrichtungen.

Auf der Bundesebene allerdings blieb unsere zentrale Forderung – die bessere Ausstattung des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration (BAMF) – lange unerfüllt. Und ferner müssen die Asylverfahren schneller und besser abgeschlossen werden, denn noch immer stauen sich hunderttausende Asylanträge im BAMF, das dem Bundesinnenminister unterstellt ist.

Und wo das schon allein unbefriedigend erscheint, wird der Richtungsstreit innerhalb der Union immer deutlicher. Die Bundeskanzlerin erscheint völlig isoliert. Eine Richtung ist bei den Unionsparteien lange nicht mehr erkennbar. Sie schwankt zwischen geschlossenen Grenzen und dem „Wir schaffen das“ der Kanzlerin. Diese hat als zusätzliches Erschwernis die Kompetenzen in der Flüchtlingspolitik zwischen Kanzleramt und Bundesinnenministerium zerteilt.

Das Ergebnis sind täglich wechselnde und sich wiedersprechende Aussagen der beteiligten Minister und eine schweigende Kanzlerin.
Krisenmanagement, verehrte Kolleginnen und Kollegen, schaut anders aus!

Verehrte Kolleginnen und Kollegen,

die Menschen in unserem Land haben angesichts der aktuellen Herausforderung eine klare Erwartungshaltung an die Politik. Sie wollen, dass wir Orientierung geben und klar sagen, wie es weiter gehen wird. Sie wollen nicht dass in dieser Situation die Flüchtlingspolitik aus parteitaktischen Überlegungen skandalisiert wird, weil das schlichtweg verantwortungslos wäre und das Vertrauen in unsere Demokratie untergraben würde. Das wäre genau die Lawine, die hierdurch etwas unvorsichtig losgetreten werden würde … verehrte Kolleginnen und Kollegen der CDU-Fraktion.
Nein, Sie wollen dass wir gemeinsam und konstruktiv die Herausforderung der aktuellen Flüchtlingssituation meistern.

Genau vor diesem Hintergrund weiß ich Ihren hier zur Erstberatung vorliegenden Gesetzentwurf – verehrte Kolleginnen und Kollegen der FDP-Fraktion grundsätzlich zu würdigen. Sorgt er doch für eine Versachlichung der aktuellen Flüchtlingsdebatte, die über weite Strecken von einer Politik der inszenierten Empörung geleitet war, an der sie übrigens nicht immer ganz unbeteiligt gewesen sind. Ferner verfolgt er im Kern eine Migrationspolitik, der wir uns seit dem Regierungswechsel 2013 verschrieben haben – nämlich dem gesellschaftspolitisch selbstverständlichen Anspruch auf Teilhabe!

Wenn wir uns hier schon sachlich über einen grundsätzlich konstruktiven Vorschlag unterhalten – Sie sprechen ja vom Verlassen von Schützengraben – dann müssen wir diese auch einer kritischen Analyse unterziehen. Wir müssen uns also die Frage stellen, ob dieser Bundesratsgesetzentwurf und die darin enthaltenen Forderungen der Gewährung eines vorübergehenden humanitären Schutzes in Kombination mit einem Einwanderungsgesetz geeignete Mittel darstellen, die heillos überforderte Bundesebene zu entlasten und gleichzeitig die Flüchtlinge, die in unserem Land eine neue Heimat gefunden haben, in unser Gemeinwesen zu integrieren.

Ob die vorgeschlagene Regelung ein geeignetes Mittel ist, dieses Ziel zu erreichen, kann aus nachfolgenden Gründen angezweifelt werden:

1. Die Betroffenen werden vielfach auch Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention sein, der Flüchtlingsstatus ist sicherer als der des vorübergehenden Schutzes.
2. Betroffene haben jederzeit weiter die Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen. Dieser ruht nach dem Entwurf für den Zeitraum der Unterschutzstellung, ist aber nach Ablauf der Unterschutzstellung zu entscheiden. Das Problem schiebt sich somit in die Zukunft. Die Regelung zielt mit der Höchstdauer von drei Jahren auf endliche Konflikte und eine Rückkehr in die Heimatländer ab. Ist die Rückkehrmöglichkeit nach drei Jahren unwahrscheinlich, wird letztlich nur „geschoben“.
3. Es ist davon auszugehen, dass Asylanträge – spätestens nach Ablauf der Unterschutzstellung – gestellt werden. Zum einen wegen Einschränkungen in der Rechtsstellung bei Unterschutzstellung gegenüber dem Asyl, insbesondere beim Familiennachzug (nur bei Trennung der Familie im Herkunftsstaat). Zum anderen zeigt dies die Erfahrung mit den Landesaufnahmeprogrammen, aus denen heraus ebenfalls eine hohe Anzahl an Asylanträgen gestellt wird.
4. Die Anwendung der vorgeschlagenen Regelung würde vollständig im Ermessen des Bundes stehen. Somit ist ungewiss, ob sie jemals zur Anwendung kommen würde, Einlassungen des BMI (subsidiärer Schutz – syrische Flüchtlinge) lassen das nicht erwarten.
5. Entlastung des Bundes erfolgt einseitig zu Lasten der Länder/ Kommunen. In der Folge obliegt es den Ausländerbehörden (ABH) z.B., die notwendige Klärung der Identität der Betroffenen herbeizuführen. Die Kosten für den gesamten Zeitraum im vorübergehenden Schutz (max. drei Jahre) müssten die Länder tragen. Andererseits ist aber auch fraglich, ob die Länder es hinnehmen wollen, dass BMI als für das BAMF zuständiges Ressort darüber entscheidet, ob und wann dieses entlastet wird.
6. Im Übrigen gibt es auch jetzt schon nationale Regelungen, mit denen die Länder und der Bund Personen außerhalb des Asylverfahrens aufnehmen können (Aufnahmeprogramme nach § 23 Abs. 1 und 2), hier allerdings ohne ein Ruhen des Verfahrens im Falle der Asylantragstellung.
7. Schließlich dürfte die Unterschutzstellung die Möglichkeit des legalen Zugangs in die Bundesrepublik zur Folge haben. Hier könnten Anreize entstehen, die so derzeit nicht gewollt sind.
8. Darüber hinaus würden mit der vorgeschlagenen Regelung europapolitisch bedenkliche Signale gesendet: Während die zugrunde liegende Richtlinie gerade auf eine gemeinsame europäische Lösung abzielt und einen Solidaritätsmechanismus durch Maßnahmen einer ausgewogenen Verteilung zwischen den Mitgliedsstaaten in Gang setzen soll, wäre die vorgeschlagene Lösung eine Abkehr von Dublin und die „Nationalisierung“ einer eigentlich europäischen Lösung.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ihrem Wunsch entsprechend habe ich mich aus dem sprichwörtlichen Schützengraben begeben und mich mit Ihrem Bundesratsgesetzentwurf, der „keine politische Farbe“ trägt kritisch auseinandergesetzt … und noch Beratungsbedarf!

In Sinne einer teilhabeorientierten Migrationspolitik freue mich daher auf die anstehende Beratung im federführenden Innenausschuss.

Hinsichtlich der von Ihnen bemängelten politisch-ideologischen Schützengräben bei der Bewältigung der Herausforderung der aktuellen Flüchtlingskrise erlauben Sie mir abschließend folgende Bemerkung.

Seien Sie gewiss: Konstruktiven Vorschlägen und ernst gemeinten Beiträgen in der aktuellen Debatte stehen wir auch weiterhin offen gegenüber. Einer jedoch populistisch angehauchten Politik der inszenierten Empörung, die lediglich zum Ziel hat, die aktuelle Flüchtlingskrise zum Spielball von parteipolitischen Interessen zu machen, werden wir auch weiterhin eine entschieden deutliche Absage erteilen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!